Freikirchen und die Ökumene
Unter Ökumene im breitesten Sinn versteht man die Beziehungen zwischen christlichen Kirchen verschiedener Konfession. Deshalb hat Ökumene nichts mit einem etwaigen Dialog zwischen christlichen Kirchen und nicht-christlichen
Religionen zu tun.
Im engeren Sinn bezieht sich Ökumene auf das Bestreben, die Spaltungen in der Christenheit zu überwinden — in diesem Sinn gibt es etliche christliche Kirchen, Gemeinden, und Bewegungen, die sich nicht an der Ökumene beteiligen, weil sie die Unterschiede, die den Spaltungen zugrunde liegen, für zu gross, die Gräben für zu tief, und Kompromisse auf jeden Fall für faul halten.
Die Haltung evangelikaler Freikirchen zur Ökumene ist nicht einheitlich und hängt sehr davon ab, wie genau man den Begriff definiert, und wer dabei den Ton angibt.
So stehen manche Freikirchen dem Ökumenischen Rat der Kirchen eher misstrauisch gegenüber, und zwar sowohl dem Weltrat (World Council of Churches, WCC), als auch den jeweiligen nationalen Organisationen (wie dem Ökumenischen Rat der Kirchen
in Österreich (ÖRKÖ)), sind aber sehr wohl offen für Kontakte und auch Zusammenarbeit mit evangelikalen und konservativen Christen in der Evangelischen Kirche (die Evangelische Allianz umfasst Mitglieder sowohl aus der Evangelischen Kirche und den Freikirchen). Auch mit katholischen Erneuerungsbewegungen gibt es
vielfältige Kontakte und gemeinsame Projekte. Vor allem auf Gebieten wie Lebensschutz, sowie Gesellschafts- und Schöpfungsverantwortung, wird die Möglichkeit der Zusammenarbeit mit anderen Kirchen durchaus gesehen und wahrgenommen.
In Österreich gibt es mit dem Verein Weg der Versöhnung und den von diesem
getragenen Veranstaltungen Runder Tisch für Österreich und Begegnungskonferenz eine Plattform der Zusammenarbeit für Christen aus den verschiedenen „Lagern” (Katholiken, Evangelische, Evangelikale, Pfingstler, Charismatiker, Orthodoxe,
messianische Juden), die sich als eine „Ökumene der Herzen” versteht, im Gegensatz zur „Ökumene der Institutionen” wie sie vom Ökumenischen Rat repräsentiert wird. Die Teilnehmer an diesen Initiativen haben, trotz ihrer Herkunft und Verankerung in den unterschiedlichen Kirchen und Traditionen, eine wesentliche Gemeindsamkeit: sie sehen ihr „Christ sein” primär als persönliche Christusbeziehung, und erst in
zweiter Linie als theologisches System oder institutionelle Mitgliedschaft.
Auch unter den Freikirchen selbst gibt es große Unterschiede in der Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit anderen; durch das Projekt „Freikirchen-Anerkennung”, welches letztlich zur Anerkennung der „Freikirchen in Österreich” geführt hat, haben etliche freikirchliche Gemeindebünde, die früher eher auf Distanz zu einander waren, den Weg zu einem guten Miteinander gefunden. Durch die tatkräftige Unterstützung, die dieses Projekt vor allem durch Kardinal Schönborn und andere katholische und evangelische Persönlichkeiten erfuhr, hat es auch Verbesserungen in
den Beziehungen zu diesen Kirchen gegeben.
In den letzten Jahren hat sich auch auf diesem Gebiet viel weiterbewegt:
Die katholische Loretto-Bewegung lädt regelmäßig evangelikale und freikirchliche
Persönlichkeiten aus dem In- und Ausland als Referenten zu ihren Veranstaltungen ein; sie ist inzwischen der bei weitem größte Veranstalter von Alpha-Kursen, einem Glaubenskurs, der in einer charismatischen anglikanischen Gemeinde in London entwickelt wurde. Zunehmend kommt es auch zu anderen Kooperationen: in Wien sind mir zwei evangelikale Gemeinden bekannt, die sich in Räumlichkeiten von
katholischen Einrichtungen treffen, eine Entwicklung, die noch vor wenigen Jahren unmöglich erschien. Dies hat sehr viel mit der Person des Wiener Erzbischofs, Christoph Kardinal Schönborn, zu tun, der z.B. jedes Jahr mit einer Gruppe seiner Geistlichen nach London in die Ursprungsgemeinde des Alpha-Kurses, Holy Trinity Brompton, fährt. Auch Papst Franziskus ist wesentlich offener für Kontakte mit
evangelikalen und freikirchlichen Gruppen, als man das in der Vergangenheit gewohnt war.
Wie sich das weiter entwickeln wird? Der zunehmende Sekularisierungsdruck wird die Kirchen, die sich nicht dem Zeitgeist anpassen wollen zunehmend näher zusammenrücken lassen, sodaß es zu einer zunehmenden „versöhnten
Verschiedenheit” kommen wird; die institutionelle Einheit, so sie überhaupt wünschenswert ist, wird jedoch sicher nicht vor der Wiederkunft Jesus zustandekommen. Gerade solche Kirchen, die dem Druck zur Anpassung an den Zeitgeist widerstehen, werden auch allen Vereinnahmungsbemühungen widerstehen und ihr klares Profil bewahren.