Begriffserklärungen
Hier wollen wir einige Begriffe, die für das Thema dieser Webseite typisch sind, erläutern.
Freikirchen haben nichts mit „Freidenkern” zu tun, sondern sind christliche Gemeinden, die nicht Teil der etablierten Volkskirchen sind. Sie sind also frei vom Staat — heute eher weniger wichtig, da auch die Volkskirchen inzwischen ziemlich unabhängig vom Staat sind, und heute auch die Mehrzahl der Freikirchen in Österreich staatlich anerkannt sind. Der Begriff Freikirche deutet jedoch auch auf die Freiwilligkeit, auf die freie Entscheidung hin, durch die man Mitglied einer Freikirche wird — im Gegensatz zu den Volkskirchen, wo diese Entscheidung in den ersten Lebenstagen eines Menschen durch ihre oder seine Eltern getroffen wird, und wo man, wenn man nicht Mitglied bleiben will, erst später durch einen expliziten bürokratischen Akt austreten muß.
Freikirchen sind entweder unabhängige Ortsgemeinden, die lediglich in freundschaftlicher Verbindung mit anderen Gemeinden stehen, oder sie sind in Gemeindebünden und Vereinigungen zusammengeschlossen, wobei es dann je nach Bund sehr unterschiedlich sein kann, wie eng oder lose dieser Zusammenschluß, und wie groß die Unabhängigkeit der einzelnen Gemeinde ist. Dies hat seine Ursache darin, daß es nicht ganz leicht ist, allein aus der Heiligen Schrift verbindliche Aussagen über die Organisation der Kirche, vor allem über die örtliche Ebene hinaus, zu finden. Freikirchen sehen dies daher als eine Sache, die Gott den einzelnen Gemeinden zur eigenverantwortlichen Entscheidung überlassen hat. Gemeindebünde sind zumeist regional verfaßt (d.h. z.B. bestimmte Gemeinden in Österreich bilden einen Bund, ähnliche Gemeinden in Deutschland bilden einen eigenen Bund, usw.) und entweder über die Entstehungsgeschichte oder durch bestimmte Überzeugungen definiert. In Österreich gibt es sowohl Freikirchen, die in der staatlich anerkannten Religionsgemeinschaft Freikirchen in Österreich zusammengeschlossen sind, als auch von diesem Zusammenschluß unabhängige Einzelgemeinden und Gemeindebünde.
Dieser Webauftritt verwendet den Begriff Freikirche ausschließlich für Gemeinden und Gemeindebünde, die als evangelikal bezeichnet werden können.
Evangelikale Christen[1]) sind gekennzeichnet durch eine starke Bindung an die Bibel als die verlässliche und maßgebliche Selbstoffenbarung Gottes sowie durch die Betonung der Notwendigkeit einer persönlichen Entscheidung, Jesus Christus zu folgen (Bekehrung, Lebensübergabe). Näheres zu diesem Thema gibt es durch Klick auf Gott Kennen.
Neben den fünf Sola-Aussagen der Reformation: sola scriptura (nur die Hl. Schrift ist maßgeblich), sola fide, sola gratia und solus Christus (Erlösung erlangen wir allein aus der Gnade Gottes und durch den Glauben an Jesus Christus; kein weiterer Mittler zwischen Gott und den Menschen ist notwendig oder möglich), sowie soli Deo gloria (Gott allein gebührt alle Ehre), an denen Evangelikale festhalten, kann die Bewegung auch durch vier Punkte charakterisiert werden, die der britische Theologe David Bebbington formuliert hat, und die als Bebbington Quadrilateral (Bebbingtons Quadrat) bekannt sind:.
- Biblizismus: eine starke Bindung an die Bibel als Maßstab des Glaubens
- Crucizentrismus: das Kreuz, d.h. Christi Opfertod, ist zentral
- Konversionismus: die Bekehrung zu Christus ist unumgänglich notwendig
- Aktivismus: Christen sind aktiv in der Verbreitung des Evangeliums
Evangelikale Christen gibt es sowohl in den evangelischen (lutherischen und reformierten) Volkskirchen, wo sie heute zumeist eine Minderheit darstellen, als auch in den Freikirchen, die mehrheitlich evangelikal geprägt sind. Auch in anderen Kirchen gibt es Gläubige, die man weitgehend als evangelikal einstufen kann (z.B. etliche der Erneuerungsbewegungen oder Movimenti in der röm.-kath. Kirche). Der Begriff „evangelikal” ist eine Eindeutschung des englischen „evangelical”, da vor allem den Freikirchen die Verwendung des Begriffes „evangelisch” lange Zeit rechtlich unmöglich gemacht wurde. Evangelikale Christen aus Volkskirchen und Freikirchen arbeiten in der Evangelischen Allianz zusammen – nicht nur in Österreich, sondern auch auf europäischer Ebene und weltweit.
Pfingstgemeinden und Charismatische Gemeinden betonen besonders das sichtbare, übernatürliche Wirken des Heiligen Geistes im Leben eines Menschen, der sich zu Jesus bekehrt hat. Im deutschen Sprachraum werden diese Strömungen parallel zur evangelikalen Bewegung gesehen; im internationalen Sprachgebrauch werden sie als Teil dieser Bewegung betrachtet, eine Einschätzung, die auch der Betreiber des Freikirchen-Atlas teilt, und die sich langsam auch in unseren Ländern durchsetzt.
Glaubensbekenntnisse wie das Apostolische Glaubensbekenntnis oder das Nicänische Glaubensbekenntnis werden von freikirchlichen Gemeinden als sinngetreue Zusammenfassung des biblischen Glaubens anerkannt, werden aber selten in den Gottesdiensten rezitiert. Trotzdem sind sie ein guter Maßstab der Übereinstimmung zwischen den Gemeinden.
Manchmal fällt im Zusammenhang mit Freikirchen und evangelikalen Christen der Begriff Fundamentalismus — hier gibt es einen Artikel zu dem Thema.
Freikirchliche Gemeinden unterstehen meist einer Gemeindeleitung, die verschiedentlich auch als Bruderrat oder Ältestenrat bezeichnet wird. Weil evangelikale Christen das Abendmahl als Gedächtnismahl und nicht als Opfer verstehen, werden “Geistliche” in freikirchlichen Gemeinden nicht als Priester, sondern als Pastoren und/oder Prediger bezeichnet. Meist ist der Pastor Mitglied der Gemeindeleitung, aber manche Gemeinden haben keinen gar keinen Pastor, sondern Predigtdienste und Gottesdienstleitung werden von Gemeindegliedern wahrgenommen, die im normalen Berufsleben stehen. Die biblische Lehre vom Priestertum aller Gläubigen (1. Petrus 2,9), die auch von Luther hervorgehoben wurde, spielt in freikirchlichen Gemeinden eine wichtige Rolle.
Die Mehrzahl der Freikirchen sind täuferisch geprägt, d.h. sie betonen die Taufe als Gehorsamsschritt des Gläubigen, und taufen daher nur Menschen, die sich schon selbst für die Nachfolge Jesu entschieden haben — im Gegensatz zu den meisten Volkskirchen, die Kleinkinder taufen, in der Hoffnung, daß sich diese ihre Taufe persönlich aneignen würden, wenn sie alt genug sind.
Zur Rechtslage der Freikirchen gibt es hier einen eigenen Artikel.
Freikirchliche Gemeinden arbeiten zwar untereinander, und teilweise auf lokaler Ebene auch mit evangelikal geprägten Gemeinden oder Gruppen der Volkskirchen, zusammen, standen aber lange Zeit der offiziellen Ökumene, wie sie vom Ökumenischen Rat der Kirchen vertreten wird, mehrheitlich eher skeptisch gegenüber. In den letzten Jahren gibt es vermehrt Kontakte freikirchlicher Christen mit Katholiken in den Erneuerungsbewegungen, und auch im Ökumenischen Rat sind inzwischen Freikirchen vertreten. Hier gibt es einen detaillierteren Artikel über das Thema Freikirchen und Ökumene
Fußnoten:
- Als Ergänzung zu dieser kurzen Definition empfehle ich die folgenden sechs Aufsätze des Schweizer Pfarrers Roland Hardmeier, der die Evangelikalen anhand ihres Bibelverständnisses definiert und die Unterschiede zu anderen kirchlichen/theologischen Traditionen aufzeigt: 1. Ein Grundsatzkonflikt (PDF), 2. Geschichte der Evangelikalen Bewegung (PDF), 3.Entstehung der modernen Bibelwissenschaft (PDF), 4. Schriftverständnis der Evangelikalen (PDF), 5. Auslegungsmethoden der modernen Bibelwissenschaft (PDF), 6. Gibt es eine Lösung des Konflikts? (PDF [zurück nach oben]