Fundamentalismus
Wenn man sich die Berichterstattung der Medien heute ansieht, wird einem schnell klar, daß dort Evangelikale ziemlich undifferenziert als Fundamentalisten bezeichnet werden, und so eigentlich in einen Topf geworfen werden mit radikalen, oft terroristischen Islamisten oder radikalen Hindus, die ebenfalls als Fundamentalisten bezeichnet werden. Auch extremistische Tier- und Umweltschutzgruppen werden manchmal mit diesem Begriff bezeichnet. Das ist eine eigentlich nicht gerechtfertigte Umdeutung des Begriffes.
Das Wort Fundamentalismus stammt von einer Schriftenreihe, die ab 1914 in den USA erschien, “The Fundamentals: A Testimony to the Truth”, und welche, als Antwort auf modernistische, liberale theologische Strömungen, die Rückkehr der Kirche zu fünf fundamentalen, d.h. grundlegenden, Wahrheiten anmahnten: die Irrtumslosigkeit und Autorität der Bibel, die Gottheit Jesu Christi, seine Geburt aus der Jungfrau Maria und seine Wunder, sein Tod für die Erlösung der Menschen, sowie seine Auferstehung und zukünftige Wiederkehr. So definiert läßt sich der Begriff lediglich auf Christen anwenden, und hat auch keine der Implikationen von Gewalttätigkeit, die heute so oft damit assoziiert werden.
Eine weiter gefaßte Definition von Fundamentalismus findet man in der Wikipedia:
Im weitesten Sinne wird als fundamentalistisch eine religiöse oder weltanschauliche Bewegung bezeichnet, die eine Rückbesinnung auf die Wurzeln einer bestimmten Religion oder Ideologie fordert, welche notfalls mit radikalen und teilweise intoleranten Mitteln durchgesetzt werden soll.
Und das populäre Verständnis des Begriffes beruht natürlich auf der Verwendung des Begriffes für radikale Islamisten, die ihre Anliegen mit Terror durchsetzen wollen.
Sind Evangelikale Fundamentalisten?
Wenn man die ursprüngliche Definition des Begriffes meint, dann sind viele Evangelikale, vielleicht sogar die meisten, Fundamentalisten — viele von uns würden die eingangs erwähnten Wahrheiten bejahen, wenn wir sie auch nicht alle ganz
gleich verstehen würden.
Aber nur eine verschwindend kleine Minderheit von Menschen, die sich auf Christus und die Bibel berufen, würden zur Durchsetzung ihrer Überzeugungen zur Gewalt greifen. Die große Mehrzahl evangelikaler Christen versteht, daß die gewaltsame Durchsetzung von Glaubens- und moralischen Werten in diametralem Widerspruch zur Lehre Jesu und der Bibel steht.
Allerdings beobachte ich auch eine sonderbare Intoleranz unter denjenigen, die uns Evangelikalen mangelnde Toleranz und Offenheit vorwerfen:
Es wird bemängelt, dass “christliche Fundamentalisten” versuchen, religiös motivierte Wertvorstellungen politisch durchzusetzen.
Was bitte, ist daran falsch, solange sich dieses “politische Durchsetzen” an die Spielregeln unserer demokratischen Gesellschaft hält? Oder sind Mehrheitsentscheidungen nur dann demokratisch, wenn sie den Vorgaben irgendeiner intellektuellen oder ideologischen Elite entsprechen?
Es wird bemängelt, dass Fundamentalismus auch in den evangelischen Landeskirchen auf dem Vormarsch ist.
Auch hier: das sind schließlich Kirchen, deren Kirchenleitungen demokratisch gewählt werden; wenn also das Kirchenvolk Leute in die Synoden entsendet, die in ihrem Glaubensverständnis eher konservativ sind, dann ist das doch ihr gutes Recht, oder?
Tatsache ist, daß es zunehmend Gruppen in unserer Gesellschaft gibt, die nicht bereit sind, eine Mehrheitsentscheidung über ihre Anliegen anzunehmen — und das sind meistens nicht die konservativen Christen. Zum Beispiel ist die Mehrzahl
derjenigen, die für das “Mainstreaming” von “alternativen” sexuellen Beziehungen und Verhaltensweisen eintreten, absolut nicht bereit, eine Mehrheitsentscheidung zu akzepieren, die ihren Interessen zuwider läuft. Und offenbar sind sie nicht überzeugt davon, daß sie wirklich die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich haben, sonst würden sie nicht so aggressiv auf politische aktive Evangelikale oder konservative Katholiken reagieren. Genau das gleiche gilt für die Befürworter legalisierter Abtreibung.
Genauso zunehmend gibt es Gruppen innerhalb der Kirchen, die nicht bereit sind, die Lehre ihrer Kirche, so wie sie entweder von einem Lehramt oder von den Grundlagendokumenten dieser Kirche definiert und ausgelegt wird, zu akzeptieren; und die auch nicht bereit sind, sich in ihren Bemühungen, die Lehre der Kirche ihren Vorstellungen anzupassen, von der breiten Masse der Kirchenmitglieder oder von
demokratisch gewählten, theologisch konservativeren Leitungsmitgliedern behindern zu lassen.
Da kommt dann die “Fundamentalismus-Keule” gerade recht, um diese konservativen Christen zu desavouieren.